Einzelbetreuungen oder doch fachlich weiterentwickeln?

Endlich ist es raus! Voller Stolz erzählte mir der Organisator einer Fachtagung, wen er bereits als Redner für seine Veranstaltung gewinnen konnte und ich hatte den Namen noch nie gehört. Als ich dann doch neugierig im Netz nachsah, wurde ich sofort überschwemmt mit allem Möglichen zur neuen Pflegereform und Personalbemessungsgrenzen. Schnell habe ich das wieder weggeklickt. Ich will mir kein eigenes Bild mehr machen über die politischen Entwicklungen und damit verbundenen Forderungen oder Bedingungen.

Dabei arbeite ich nach wie vor an der Reformation der stationären Altenhilfe. Aber anders. Seit Ewigkeiten haben ich keine Fachzeitschrift mehr gelesen (nur ein paar Artikel geschrieben) und meide jede Form von Nachrichten und Informationsveranstaltungen. So bleibt mir nämlich gar nichts anderes übrig als mit der Wahrheit meiner Kunden zu arbeiten, die fachliche Verantwortung bleibt bei ihnen. Mit dieser Unwissenheit konnte ich unvoreingenommen das Erfahrungswissen zahlreicher Altenhilfeeinrichtungen zusammentragen und diese Lösungsformel entwickeln, die ich gerne mit Ihnen teile.

Ein aktuelles Thema: Einzelbetreuungen! Bewohner, die mit dem aktuellen Betreuungsangebot nicht zu erreichen sind, sollen in der Mittagszeit aufgesucht werden, um das dokumentieren zu können. Warum mittags? Es ist das Zeitfenster, in dem sonst nichts „soziales“ geplant wird, weil die Bewohner dann essen und zur Toilette wollen und einfach müde sind. Und so hat eine eigentlich gut gemeinte Maßnahme vielerorts tatsächlich nur negative Effekte, die sogar dazu führen, dass diese (durch die neue Reform) zur Verfügung gestellten personellen Ressourcen gar nicht erst in Anspruch genommen werden. Es geht hier allerdings nicht nur um die zusätzlichen Mittel, die genutzt werden könnten; das Thema an sich schadet dem erforderlichen Miteinander zwischen den Pflege- und Betreuungsteams. Es zehrt an dem noch vorhandenen Idealismus, den es braucht, um die Situation im Einrichtungsalltag langfristig gut aushalten zu können – und von dem die sprachlosen Bewohner besonders abhängig sind. Aber kommen wir zum Auslöser:

„Wie stellen Sie sicher, dass etwas von dem zur Verfügung gestellten Betreuungskuchen bei wirklich allen Bewohnern ankommt?“ So oder ähnlich mag die Frage der Prüfinstanz gelautet haben, die den Einrichtungsleitungen reihenweise Schweissperlen auf die Stirn trieb. Ohne diese Kontrolle hätten die Bewohner, die sowieso schon immer das Betreuungsangebot für sich beanspruchten und auch einfordern, einfach mehr davon bekommen – und andere Bewohner, die „nicht normal genug sind“, weiter verdrängt. Das Problem der Praxis wurde also erkannt und aufgegriffen, die Maßnahme scheint sinnvoll. Das Prinzip der „Zwangsbeglückung“ greift da am besten: mit gesetzlichen Vorgaben wird zur fachlichen Weiterentwicklung genötigt. Denn ein System, dass sich auf Leidensfähigkeit spezialisiert hat, braucht nun mal besondere Reize. Wer sich gegängelt fühlt, hat die Absicht dahinter einfach nicht erfasst. Was war der Punkt? Man versprach Hilfe, und das Angebot lautet:

Es gibt zusätzliches Betreuungspersonal
gegen den Nachweis, dass es bei wirklich allen Bewohnern ankommt.

Wie lässt sich das ohne die im Vorfeld kritisierten Einzelbetreuungen umsetzen? Das Konzept erfüllt nicht nur dieses Kriterium, es verbessert die Pflege- und Betreuungssituation in stationären Einrichtungen wirklich nachhaltig. Und es ist überraschend einfach! Nur erfordert es tatsächlich eine Umorientierung, die den bisherigen „Machtinhabern“ nicht gefallen wird. Im Fokus steht dann nämlich ein Klientel, dessen Zustand Berührungsängste auslöst. Menschen, für die es anscheinend keine andere Wohn- und Versorgungsform mehr gibt. Sie brauchen Freiräume und Begleitpersonen, die ihre Bedürfnisse für sie erkennen können, damit sie nicht erst mit „herausfordernden Verhaltensweisen“ auf sich aufmerksam machen müssen.

Hier sind sie, die erforderlichen Parameter zur Standortbestimmung und Neuorientierung:

  • Die gesamte zur Verfügung stehende Betreuungszeit ist auf 52 Wochen im Jahr gleichmässig verteilt (genau wie die Pflegezeit – 365/7/24)
  • 70% der täglichen Betreuungszeit ist den Menschen vorbehalten, die sich selbst nicht mehr beschäftigen können.
  • Mindestens 50% der Betreuungszeit liegen bewohnerorientiert im zweiten Teil des Tages.

Wichtige Meilensteine: Betreuung und Pflege sind gleichgestellt in der Erfüllung des Auftrages: bestmögliche Versorgung der Ihnen anvertrauten Klienten unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen. Es ist eine im multidisziplinären Team zu treffende, rein fachliche Entscheidung, wer an welchem Angebot teilnehmen darf bzw. wem welche Leistung wann zusteht – im Sinne des allgemeinen Wohlbefindens in der Wohngruppe. Weder Bewohner noch Angehörige haben einen bewussten Einfluss darauf.

Ich bin auf der Suche nach neuen Formaten und würde in diesem Rahmen gerne online mit fachlich Interessierten in den Austausch gehen. Interesse anmelden & informiert bleiben.

Ein Veranstaltungshinweis für Führungskräfte sozialer Dienste:„Das Geheimnis erfolgreicher Zusammenarbeit von Pflege- und Betreuungsteams“ am 02. November 2020 in der
IN VIA Akademie Paderborn, mit begrenzter Teilnehmerzahl – Zum Flyer

Diesen Beitrag als PDF-Datei mitnehmen