Keiner Zuhause
Merle und ich sind noch kurz etwas besorgen, als mir einfällt, dass ich seit Tagen mein Fahrrad vor der Tür stehen habe. Merle nimmt mir den Schlüssel ab und will es in den Keller bringen. „Oma ist ja da und kann Dir die Tür aufmachen.“ Ich klingele. Ich klingele wieder und positioniere mich so vor der Kamera, das mein Porträt über den Bildschirm direkt in den Flur strahlen muss.
Ich klingele noch einmal und versuche gegen den Straßenlärm zu erklären, wie man den Drücker bedient, dabei habe ich noch keinerlei Reaktion. Ist sie vielleicht auf dem Weg zur Tür über den Hund gefallen, der chronisch im Weg liegt? Verunsichert stehe ich vor der Tür und klingel wieder, um die Bildübertragung für weitere 20 Sekunden zu aktivieren. Jetzt rede ich beruhigend auf die Kamera ein: „Bitte bleib liegen, gleich kommt Hilfe, wir sind schon fast auf dem Weg, bitte nicht aufregen…“ Im Hintergrund fährt der Bus mit entsprechender Geräuschkulisse durch das Bild, also wiederhole ich diese Ansage mehrfach und wecke das Interesse der Menschen an der Bushaltestelle. Dann kommt Merle endlich aus dem Keller hoch und macht mir die Tür ins Treppenhaus auf.
Als wir die Wohnungstür aufschließen, steht Oma schon erwartungsfroh im Eingangsbereich. „Warum hast Du denn die Tür nicht aufgemacht?“ frage ich ganz aufgebracht. „Ja…“ Sie stockt einen Moment und überlegt angestrengt, dann fällt es ihr ein, freudestrahlend antwortet sie: „Ich war wohl nicht da!“ Gemeinsam lachen wir und alles ist wieder gut.